12.05. - 23.06.2016

Von Angesicht zu Angesicht

Steiermarkhof

Von Angesicht zu Angesicht
Gegen-Bilder zur flimmerschnellen Bilderschwemme
mit ihren verhüllenden Wohlstandsgesichtern:
ANTLITZ – AUGEN-BLICKE – ANGEBLICKT werden
„Die wichtigste Unmöglichkeit ist, das Ganze zu sehen…
Ja, es würde, um dieses Ganze zu formen, genügen, die Augen zu formen“
(Alberto Giacometti)
Dem heutigen Menschen droht das Gesicht abhanden zu kommen: Digitale Bilderfluten, Massenbilder, medial zurechtgeschnittene Herzeige-Gesichter aus Hochglanzblättern und Bildschirmaltären, schöngeglättet oder kriegszerschossen, tausendfach eilig abgeschossene Abknipsfotos von sich und den Seinen lassen nichts und niemanden mehr wirklich erkennen, geschweige denn ins Angesicht blicken. Schnelle Abbildbarkeit und das Nicht-verweilen können bei EINEM raubt uns die Seele. Wo bleibt das Wesen des Abgebildeten? Gibt es das Sich-in-die Augen-Schauen überhaupt noch? Wer hält, außer den Verliebten und den Kindern, dem realen Angeblickt-werden noch stand? Ist alles nur mehr ein flüchtig Sehen und ein Fluchtweg vor dem Sehen? Man möchte sein Gesicht wahren und merkt vielleicht zu spät, das man keines mehr hat…
Die menschliche Figur, das Antlitz war in meinen Arbeiten immer ein Thema. In den letzten Jahren ist es zusammen mit den „Unnützbarkeitsgefäßen“ das ausschließliche und alles ausfüllende Arbeitsfeld geworden. Reduktion, Vereinfachung und Bündelung auf elementare Fragen haben mich dabei beschäftigt. Es ist nicht das individuelle Gesicht, das persönlich Kennzeichnende und Auszeichnende, das Portrait oder ähnliches was mich da interessiert und in den Bann zieht. Es ist das über das Individuelle, Subjektive Hinausgehende, das Transpersonale, das Gesicht an sich, das An-Gesicht, das Antlitz, das Anleuchtende, das Aufdunkelnde des Gesichtes, das allen Menschen gemeinsam Sichtende und Gesichtete des Gesichtes. Letztlich ist es das An-Gesicht in allen Wesen, in jedem Fünkchen Leben, das Antlitz, das aus allem Sein hervor- und herausleuchtet, herausdunkelt. Es ist auch dieses Verhüllte, Verschleierte in allen Gesichtern dieser Welt im An-Gesichteten einer rätselhaft, verschlüsselten Welt…
Was leuchtet, was dunkelt, was antlitzt uns da entgegen?? Und es sind die Augen, dieses Augenscheinlichste am Gesicht und alles was damit ins
Auge fällt. Ein ganzer Kosmos breitet sich da aus, ein Blick bis in die Tiefen der Meere, bis zu den äußersten Rändern von Milchstraßen: Geheimnistüren, Rätselfenster, Augen-Stern. Augen schauen und lassen in sie hinein-blicken. Ebenso werde ich von ihnen angeblickt. Gründe und Abgründe tun sich auf. Da ist das offene, weit geöffnete Auge, dort das geschlossene, das Auge der Versenkung, der Verinnerlichung, der Innenschau. Staunen, Schrecken und Angst, Entzücken, Zärtlichkeit, Berührung, Ekstase und Glühen, Hoffnungs-Sonne und Hass, tiefe Trauer, Verzweiflung und vieles mehr kann uns in ihnen entgegen-blicken… Blicke können in die Zukunft gerichtet oder gefesselt an die Vergangenheit sein. Prophetisches, Visionen, eine tiefere SCHAU, die hinter den Fassaden und Oberflächen, hinter den Zudeckungen dieser Welt, das eigentliche Gesicht der Welt
zu erkennen sucht, kann in ihnen aufleuchten. Immer wieder ist es der Blick in die Weite, in die Ferne, der anspricht und fasziniert,
der Blick der befreit aus der Nabelschau-Beschauung, aus den Erdfixierungen und den Anhaftungen an eine Habe-Welt, aus dem Verharren in den Knechtungen einer Ich-Verengung und dem selbstgefälligen Selbst-Bespiegelungs-Karussell, der den Exodus ausruft aus Kleinkastl-Denken und dem emsigen Aufstellen von Kleinkrämer-Umzäunungen. Und es ist das schweigende Gesicht, der stille, in sich ruhende, verharrende Blick, der
Innehalte-Blick, der Verweil-Blick, dieser wie für Jahrtausende eingesteinte Blick, der dich unentwegt und unbewegt anblickt bis auf den Grund – Mönchsgemurmel und Nonnenauge, – ein Blick, der noch Stillebrücken baut und Aufhorchdome in einer ratterschnellen, zugelärmten Geschwätzwetter-Welt, ein Blick der sich verbunden weiß mit größeren Dimensionen und gehalten von den Ader-Ästen eines
umfassenderen Seins. Es ist auch dieser strenge, ernste, gefasste Blick, nicht der moralisch strenge, sondern der messerscharfe, offenlegende, unterscheidende Blick, der erkennt und benennt und nicht vernebeln lässt, dieser Blick, wenn die Nur-Höflichkeits-und Schönrede-Maske
abfällt, der Blick, der in den Bildwerken von frühen und außereuropäischen Kulturen und in der Romanik so anspricht. Sagt dieser Blick nicht auch: Mach dir nichts vor! Alles liegt glasklar offen da, „jüngstes Gericht“ im Hier und Jetzt, nicht als Strafe, sondern als Ein-Sicht: Ja, so ist es, so und nicht anders! Nicht zu vergessen ist der Darüber-hinaus-Blick, der Blick über das jetzt Fassbare und Greifbare hinaus in die Überkannen des Unfassbaren, menschliche Kurz-Sichten überschreitend, ein Blick der unmöglich Geglaubtes als Möglichkeits-Wunder zulässt, der universelle Zusammenhänge erahnt und knüpft, in unbetretene Seins- und Lichtstufen vordringt und Durch-Blicke schafft, wo sonst kein Durchblick? Wäre nicht auch dem „göttlichen“ Blick mehr Spiel-Raum zu geben, dem Blick mit Abstand und Über-Sicht, der sehen kann wie etwas wirklich ist und welches Schweroder
Leichtgewicht dieses Etwas wirklich hat? Eine Frage, die sich mir immer wieder stellt: Wohin führt eine Gesellschaft, eine Kultur, eine Religion, die kein größeres Gegenüber mehr hat, kein Du, kein Gesicht, keine Instanz „darüber“, die anblickt und Rechenschaft und Verantwortung
einfordert? Sich dem Gesicht zu stellen, kann keine Heilewelt-, keine hochpolierten Weltverschönerungs-Gesichter am Unter-den-Teppich-kehr-Tisch ergeben. Dauer- Wohlfühllächeln am Wellnesmarkt zur besseren Selbstoptimierung kann nicht ihr Wesenszug sein: die Übertonnen an Leid und Elend, an Unrecht und Grausamkeit dieser Welt sind tief hineingeschrieben in den Wangen eines Welten-Antlitzes und können nicht wegretuschiert werden: Golgota ist für immer in ihnen eingefurcht. Vielleicht müssen „wahre“ Gesichter auch Trotzdem-Gesichter sein, ANTLITZE trotz allem, ein Anleuchten, ein Aufleuchten, ein Anglitzen auch im Aufdunkeln und Annachten in unrosig anbrechenden Zeiten, Getsemani UND die Lichtspur eines erhofften Ostermorgens… Es ist immer wieder das Einzel-Gesicht, das Paar, die Drei-, manchmal auch die Vierheit an Gesichtern, die mich formal und inhaltlich beschäftigen. Selten geht die Anzahl darüber hinaus. Im Paar eröffnet sich mir die grundlegend männlichweibliche Urgestaltigkeit alles Lebendigen, im Einzel-Gesicht die EIN-heit des Lebens: EINS-Werdung, EINS-Sein, EIN-Klang mit ALLEM im großen, umfassenden EINEN und: der Mensch ist im Innersten immer all-EIN und EIN-sam, allein auf sich zurück geworfen wie im Sterben, als EIN-er in der ALL-EIN-samkeit des Ein und Allen. ALLES BLICKT MICH AN: jeder Grashalm, jeder Regentropfen, der Stacheldraht, die Gewehrkugel, jedes Stückchen Sein. Alles Sein offen-bart sich wie ein offenes, sich nicht verstellendes Gesicht, jeder Tag ein Lehrtag etwas vom tieferen Sehen zu
erfahren und es nicht in den Topf der Gewöhnung zu werfen. Hat nicht alles Seiende ein Gesicht, sein Antlitz, ein Aufleuchten, sein Andunkeln?
Ja, wir sehen jetzt vieles wie durch einen Schleier und Bruchstück-zerbrochen. Wir verblassen und erblinden am Ende.
Doch wir werden ANGEBLICKT. Das ist kein schwacher Trost. An-Blick und Angeblickt-werden ist VIEL, vielleicht das WICHTIGSTE überhaupt,
möglicherweise ALLES… „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel rätselhaft, dann aber von Angesicht zu Angesicht“(1.Kor. 13,12)

Alois Neuhold