In der Arbeit Ingeborg Pocks verschmelzen ideelle und materielle Aspekte des Themas „Lebensraum“ in einer mehrschichtigen Überlagerung. Ausgehend von der Faktizität des „Hic et nunc“, des jeweiligen Hier und Jetzt als Mittelpunkt eines Lebensraums, der einem Menschen gegeben ist, kommt gerade in ihrer Arbeit die „Überkreuzung“ des Ideellen und Materiellen zum Ausdruck. Dieses Hier und Jetzt, das der Phänomenologe Edmund Husserl als „Ur-Doxa“, als „leibliches da sein“ (im Sinne einer fundamentalen Verortung des eigenen Körpers im Raum) und als Moment zeitlicher Gegenwart konzipierte, gilt ja bezeichnender Weise de facto nur für den Körper und das Materielle an sich. Auf ideeller Ebene befinden wir uns immer in der Gleichzeitigkeit sowohl eines „Da“ wie auch eines imaginären „Dort“, in einem Jetzt, aber ebenso in einer erinnerten Vergangenheit und im Bewusstsein einer Zukunft. In diesem Sinne ist der „Lebensraum“, der für den Menschen ja immer auch durch seine Intelligibilität konstituiert wird, so dass er nicht auf seine empirisch-materielle Faktizität reduziert werden kann, gerade nicht an dieses Diktum des Hier und Jetzt gebunden. Der imaginative Lebensraum ist unbegrenzt und vermag räumlich und zeitlich völlig Divergierendes in einem gemeinsamen und gleichzeitigen Hier und Jetzt zu vereinen. Dem entsprechend kann Ingeborg Pock die „Lebensräume“ dreier Zisterzienser-Stifte – jene von Neuberg, Rein und Heiligenkreuz – die ideell in ihrer Imagination repräsentiert sind, auch in einem gemeinsamen „Lebensraum“ (deren gemeinsamer „Knotenpunkt“ sich gleichsam in die Person der Künstlerin manifestiert) zusammenführen. In der diese Stifte primär prägenden Gestalt(ung), nämlich in Form der Kirchen- und Kreuzgangräume, in denen sich die wichtigsten Wege des geistlichen Lebens „kreuzen“, werden diese Orte nun graphisch-malerisch „erinnert“. Die imaginative Erinnerung Ingeborg Pocks wird zu einer impulsiven Studie der grundlegenden Struktur der Kirchenräume und Kreuzgänge. Diese dominanten Kreuzstrukturen bilden auch die deutlichste, gleichsam „tiefste“ Erinnerungsspur, die in den Bildstudien zu einer graphisch-materiellen „Spurung“ wird. Im Gegensatz dazu findet sich der „Umraum“ der zentralen Kreuzmotive eingebettet in eine abstrakte, expressive Formgebung, die architektonische oder topographische Details nur chiffrenartig andeutet. Derart sind die „Grundrisse“ der Stifte in einen malerischen Raum eingefügt, deren unterschiedliche Braun-Färbungen sich aus den unterschiedlichen Sand- und Erdmaterialien ergeben, die Ingeborg Pock als materielle „Erinnerung“ von den jeweiligen Orten der Stifte sammelte, um sie nun in deren malerische Repräsentation mit einfließen zu lassen. Auf diese Art wird die zunächst lediglich imaginär mögliche Integration geographisch getrennter Lebensräume gleichsam im Sinne eines „pars pro toto“ auch auf materieller Ebene realisiert. Die malerische dreiteilige Studie „Terra Runa“ erscheint beinahe als religiös-meditative Malerei, die die materielle „Schwere“ der Erde, die hier ja tatsächlich auch verwendet wird, in ein hell leuchtendes Weiß transzendenter Schwerelosigkeit transformiert. Die Farbwerte der Braun- und Rottöne ergeben sich wie schon in den kleinformatigen Kreuzgangstudien aus den unterschiedlichen Erdmaterialien der Stifte, die sich im Gestus informeller Malerei wie die Türme der jeweiligen Stiftskirchen aus dem Erdigen in die Höhe strecken. Aber selbst an den Stellen kräftigster Übermalungen durch ein helles Weiß schimmert der erdige und materielle „Grund“ aller ideellen Transzendenz …