Für die Komponistin Elfriede Moschitz konstituiert sich die Beziehung zum Raum über dessen spezifische Gegebenheit für akustische, d. h. primär musikalische Phänomene und Formen. In diesem Sinne ist jeder Ton, jede Schallwelle, eine Interaktion mit dem umgebenden Raum – und tatsächlich: Für das menschliche Wahrnehmungsspektrum ist zwar ein „tonloser“ Raum, also ein Raum in absoluter Stille vorstellbar, d. h. die Gegebenheit eines Raumes setzt nicht notwendig jene einer Schallwelle voraus, unvorstellbar erscheint aber die Ausdehnung einer Schallwelle in Raumlosigkeit. Es scheint, als wäre „der Raum“ ein notwendiges Apriori unserer Vorstellungswelt – auch wenn sich selbst der physikalische Raum seit A. Einstein zu einer abhängigen Variablen der „Zeit“ (heute spricht man eigentlich nur mehr von „Raumzeit“) bzw. der absoluten Konstante „C“ der Lichtgeschwindigkeit verwandelte. Dass die räumliche Gegebenheit immer auf Tonphänomene wirkt, zeigt sich ja besonders am Klang selbst, denn wie etwas „klingt“, also die „Klangqualität“ (Klangfarbe) ist ja der hörbare Beweis für die Einwirkung der räumlichen Parameter auf akustische Wellen. Jedenfalls intendierte die Komponistin mit der vorliegenden Arbeit eine bewusste Auseinandersetzung mit den spezifischen Räumen des Stiftes – auch um mit ihrer Musik über diese Räume hinauszugehen, den Raum akustisch zu durchdringen – sei dies nun im „Steinernen Saal“, mit Hilfe der Kirchenorgel oder in der Bibliothek des Stiftes, in dessen musikalisch völlig „unbelastetem“ Raumambiente sie die Aufnahmen zu „Crias“ durchführte. Das gedämpfte Klima der Bibliothek erlaubte eine intime, ohne Hall irritierte Klangqualität in einem architektonischen Raumvolumen, dessen Wände „ohne akustische Geschichte“ (wie E. Moschitz sagte) waren. Zusammen mit Stephan Roth, der Elfriede Moschitz „soundtechnisch“ begleitete, wurde in mehreren Musikinstallationen bzw. musikalischen Inszenierungen im Stiftshof und im Kreuzgang beinahe der gesamte Raum des Stiftes mit eingebunden. So wurde etwa die Komposition „Crias“ von Stephan Roth elektronisch zu einem flächenartigen, frequenzvermischten und durchgehenden Soundstück verdichtet, das dann über eine Satelliten-Anlage, die Stephan Roth als Richtlautsprecher verwendete, von der Kirche aus in den Hof des Stiftes übertragen wurde. Ebenso bespielte Elfriede Moschitz eine im Kreuzgang installierte Klangschale mit ihrer Stimme, die der „Musik“ des am Vorabend aufgenommenen Abendgebetes der Mönche beigemischt wurde. Derart entstand eine für alle neue, ungewohnte und „sphärische Raumsituation“ (Stephan Roth). Dass Elfriede Moschitz ihrer statisch und minimalistisch disponierten, nur in geringen Klangveränderungen changierenden und ein unendliches Kontinuum evozierenden Komposition die Register-Anweisung einer „vox humainne“ gab und die ursprünglich maskuline Form in eine weibliche Form übersetzte, verweist auch darauf, dass der „Raum“ des ältesten Zisterzienser- Klosters Österreichs zumindest für einige Tage durch eine Frauenstimme „überlagert“ und durchdrungen wurde, dass sich vielleicht ein Dialog zwischen Männer- und Frauenstimmen ergeben hatte, der das Stift für gewisse Zeit in eine „sphärische“ Atmosphäre gehüllt hatte. Dass Elfriede Moschitz ihre Musik in einem gewissen feministischen Sinne konzipiert, geht bereits aus dem Titel der Komposition hervor: „Crias“ bedeutet im Sanskrit sowohl „Schrei“ als auch „Hingabe“. Vielleicht etwas „überinterpretiert“, aber doch mit geschichtlicher Tiefe, könnte man diese Verknüpfung zweier eher unterschiedlicher Bedeutungen auch als ausdrucksvolle Metapher für die Situation „der Frau“ verstehen.