Der Mensch ist ein „animal symbolicum“, wie es der Kulturphilosoph Ernst Cassirer bezeichnete, ein Wesen, das zur Symbolisierung, d. h. zum Zeichengebrauch und zur Zeichengestaltung fähig, ja im Grunde dazu verurteilt ist – denn nur im „Reich der Zeichen“ (R. Barthes) wird der Mensch zum Menschen. Anders gesagt – alles wird dem Menschen zu Zeichen, zu bedeutungsvollen Chiffren. Die Menschwerdung verläuft „vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck“ (J. Habermas). Aber der Mensch ist primär ein „sinnliches Wesen“, ein Sinneswesen, das die Welt über die sinnlich wahrnehmbaren Zeichen und Spuren „erfährt“ – aller Sinngebung liegt zunächst eine sinnliche Wahrnehmung – eine „aisthesis“ – zugrunde. In dieser grundsätzlichen Bedeutung ist der Ursprung der künstlerischen Ästhetik zu suchen – in der sinnlichen Wahrnehmung der materiellen „Spuren“ der Welt. Aber diese verstreuten und oft nur allzu alltäglichen Spuren und Zeichen werden meist nicht als ästhetische Phänomene wahrgenommen, sie bleiben nicht selten unter der Wahrnehmungsschwelle des Bewusstseins, sie werden „gesehen“, ohne gesehen zu werden. Walter Köstenbauer versucht dieses „Übersehen“, dieses Nicht-Wahrnehmen im Kontext des alltäglichen Lebens, in eine neue ästhetische Erfahrung zu transformieren, indem er primär die unscheinbaren Spuren und Phänomene zum Ausgangspunkt seiner künstlerischen Bearbeitung macht. Es geht ihm um das Sichtbar- und Wahrnehmbarmachen der ästhetischen Qualität der im Alltag kaum unter diesen Kriterien betrachteten „Oberflächen“. Für die „mauer.werke“ wurden Dias von in Stift Rein gefundenen „(Verfalls-) Spuren“ am Mauerwerk angefertigt und schließlich mit experimentell konzipierten Techniken händisch bearbeitet. So ergaben sich Spuren und Zeichen, die durch beinahe „brutal“ wirkende Techniken des Ritzens, Schabens, Färbens, bis hin zu Ätzungen und/oder dem teilweisen Schmelzen der Dias „verfremdet“ wurden, um im Sonnenlicht erneut photographiert und danach digitalisiert zu werden. Jeder einzelne Schritt der experimentellen Verfahren hinterlässt meist nicht vorhersehbare eigene Spur(ungen) und verändert die Qualität der bereits „eingegrabenen“ Zeichen. Hier wird die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Wortes „graphein“ wörtlich genommen und tatsächlich in das künstlerische Material gegraben, geritzt und gekerbt. Im Versuch, die teilweise gegensätzlichen ästhetischen Theorieansätze J.-F. Lyotards (Qualität der ästhetischen Ausstrahlung bzw. Intensität) und A. C. Dantos (Konzeptualismus) zu verbinden, sind die Werke Walter Köstenbauers sowohl konzeptuell wie auch ästhetisch-experimentell zu verstehen. Dabei wendet er sich explizit gegen eine thematisch-gegenständliche Identifizierung der künstlerischen „Bildlichkeit“ und Darstellungsweise – für ihn stehen malerisch-formale, aber auch materialbezogene Qualitäten im Mittelpunkt der Thematisierung. Dies zeigt sich auch in den malerischen Arbeiten, die nicht darstellen wollen, sondern in ihren verzweigten Malspuren (Übermalungen, Auslassungen etc.) ein ebenso visuelles wie haptisches Wahrnehmungserleben ermöglichen. Dabei wird das meist banale und alltägliche Trägermaterial – von Baumaterialien bis hin zu bereits einmal gebrauchten und in diesem Sinne bereits „verbrauchten“ Kartons – mit den material- bzw. gebrauchsspezifischen Strukturen ebenso zum ästhetischen Phänomen wie die malerischen „Eingriffe“. Wichtig ist auch hier der experimentelle Duktus, mit dem versucht wird, sich von den „gefundenen“, teilweise zufälligen Effekten auch überraschen zu lassen. Der künstlerische Gestaltungsprozess wird in jedem Moment zur Erfahrung neuer ästhetischer Spuren und Zeichen – zur Entdeckung von noch nicht Gesehenem, noch nicht ästhetisch Wahrgenommenem.