Man könnte diese symbolträchtige, wenn nicht enigmatische Arbeit Susa Kalers, die die Künstlerin auch mit Lilith, einer babylonischen Nachtdämonin und gemäß dem Midrasch erste Frau Adams, assoziiert, durchaus als eine zutiefst weibliche Form der künstlerischen Artikulation bezeichnen, die sich in die Tradition einer feministisch-existentialistischen Kunstsprache einordnen ließe. Hier kommt weniger ein aggressiver und polemischer (politischer) Feminismus zum Ausdruck als vielmehr eine künstlerisch-gestalterische Thematisierung existentieller Fragen: Was könnte es bedeuten, eine Frau zu sein? Was heißt es, Frau und Mutter zu sein? Verändert sich die Kategorie „Frau“ durch jene der „Mutter“? Ohne dies hier im Einzelnen ausführen zu wollen, seien doch einige Stichworte für die soziale, kulturelle und letztlich auch psychologische „Entwicklungsgeschichte“ so mancher Frau gegeben: Verleugnung – Verletzung – Verlorenheit. Nicht selten wird die biographische Geschichte einer Frau von derart existentiellen Erfahrungen geprägt, die sich schließlich nicht in einer „kühlen“, abstrakten Sprache und Logik ausdrücken sondern vielmehr in einem oft rätselhaften, besonders aber auch intensiven und sinnlichen Umgang mit Materialien und Formen äußern. Derartige künstlerische Herangehensweisen sind weniger produktund ergebnisorientiert als vielmehr am Prozess der Entwicklung selbst interessiert – dieser ist eine Art der Reflexion, der Auseinandersetzung mit Fragen, Stoffen und Formen, die als Prozess vor allem eines beanspruchen: Zeit. Dass sich jemand Zeit nimmt und sehr viel Zeit in mühsame Arbeit investiert (letztlich um Zeit zu gewinnen!) ist in der heutigen, „dromokratischen Zeit“ (wie es Paul Virilio nennt) keineswegs selbstverständlich. Der beinahe vollkommen entrindete Holzkorpus eines Trauerweidenstammes, dessen „verletzte“ Entkleidetheit teilweise wieder mit Gold legiert ist, kündet einerseits von der bewahrenden Stärke des Stammes, des Gewordenen und gleichzeitig von seiner auf dem Erreichten aufbauenden Veränderung, die sich in einer neuen Erscheinungsform manifestiert. In langwieriger, wahrhaft „Zeit raubender“ Arbeit (man denke etwa an den griechischen Gott der Zeit, Chronos, der seine Kinder wieder verschlingt, d. h. die gegebene Zeit wieder vernichtet) werden die Rindenfragmente mit Messingdraht zu einem neuen Kleid vernäht (und wer denkt hier nicht an die teppichwebende Penelope und ihren Versuch, die Wartezeit nicht vergehen zu lassen, um Zeit zu gewinnen!). Zeigt sich in der Wahl der Künstlerin, auf eine „typisch“ weibliche Produktionsmethode zurückzugreifen (jene des Nähens), nicht das Paradox existenzieller weiblicher Bedingtheit zwischen Vergehen, Bewahrung und Neubeginn? Die Künstlerin näht sich aus dem Bewahrten ein neues Kleid als Sinnbild ihrer existenziellen Entwicklung und Veränderung – die bisherige Geschichte, der Status quo des Gegebenen, wird nicht mehr als versteinernde Bewahrung gesehen, sondern als selbstständige Veränderung dessen, was man (frau) ist – freilich bleibt der melancholische Windklang einer Trauerweide und das sich ständig verändernde und doch gleichbleibende Element des Wassers … Dennoch bekam das neue Kleid auch eine Stütze … es wird getragen!