Gerald Hartwigs „Filmpentagon“ spielt mit den für die massenmediale und bildüberflutete Gegenwart aktuellen Ebenen von Realität und Fiktion bzw. den so genannten Virtualitäten. Unter den Insignien „VR“ (Virtual Reality) machte das Phänomen des Virtuellen ja im Zuge der Entwicklung digitalisierter Audiovisionen in den letzten zehn Jahren Furore. Diese Entdeckung des Virtuellen im digitalen Zeitalter zeigte aber vor allem, dass es schon immer Virtuelles gegeben hat. Paradigmatisch steht dafür das Medium des Films mit seinen fiktiven Bild-Welten, von dem Hartwig auch ausgeht. Im vorliegenden Pentagon bestehen die Bildmotive jeder Schauseite aus den Plakatsujets fünf bekannter Filme, unter anderem „Blow up“ (Regie Antonioni), „Der Andalusische Hund“ (Bunuel und Dali), „Apocalypse Now“ (Coppola) sowie weiteren zwei Filmen (dem Autor sei erlaubt, sie hier nicht schon zu verraten). Die Original-Filmposter wurden durch ein feinmaschiges Netz hindurch, das gleichsam eine pixelartige Matrix konstituiert, auf Papier übertragen. Diese Methode evoziert teilweise ein „Spiel“ mit den Negativ- und Positivformen des Malauftrages im Verhältnis der beiden Trägermaterialien (Papier und Netz), das durch die Applikation des Netzes in einer gewissen Distanz vor dem auf dem Papier aufgetragenen Bild zu einem oszillierenden Bildeindruck führt. Ob Papier- und Netzbild zur Deckung kommen, ist von Distanz und Winkelgröße, von denen aus beides betrachtet wird, abhängig. Wie schon Marshall McLuhan in seiner Medientheorie feststellte, entwickelt jede Netzstruktur nicht nur eine visuell-abstrakte Wahrnehmungsqualität sondern vermittelt vor allem einen haptischen Eindruck – als würde man das Netz mit den Fingern abtasten. Hartwig erreicht diesen haptischen Wahrnehmungseffekt ebenfalls durch die Netzapplikation – das visuelle Bild wird gleichsam zur Tastempfindung. Dass das Pentagon mit seinen filmischen Bildmotiven für den Betrachter nicht nur kontemplatives Schauobjekt sein soll, wird durch die von Gerald Hartwig beabsichtigte Möglichkeit verstärkt, den Netzrahmen zu öffnen (oder zu schließen), um so die tiefer liegende Bildebene, auf bzw. an der teilweise Requisiten der Filmtechnik (z. B. eine Linse) angebracht sind, in interaktiver Auseinandersetzung mit dem Objekt zu „entdecken“ (etwa in Form der Benützung der Linse durch den Betrachter). Den Bildsilhouetten sind auch Textpassagen zugeordnet, die einerseits tatsächliche Zitatauszüge des Films bzw. der Filmfiguren (z. B. originale Drehbuchsentenzen, Szenenbeschreibungen etc.) sind (in schwarzer Schrift) oder aber die „Wirklichkeit“ des jeweiligen Films überschreiten und ein neues virtuelles Eigenleben des Films oder der Filmcharaktere andeuten bzw. inszenieren (in roter Schrift). Damit wird der prinzipiell virtuelle Charakter des Mediums „Film“ und die immer fiktive Dimension der Filmfiguren und Filmhandlungen durch eine weitere virtuell-fiktive Ebene einerseits explizit erfahrbar und andererseits auch in den „Sog“ aller virtuellen Realitäten transponiert, d. h. der Modus des Virtuellen gegenüber dem Realen wird offenbar: Das Virtuelle ist immer veränderbar, unendlich variabel, im Grunde unabschließbar – jede Virtualität ist eine mannigfache Wirklichkeit (ein mathematisches Rätsel!), aber niemals die wirkliche Wirklichkeit, die inzwischen ja tatsächlich medientechnisch im „Verschwinden“ begriffen ist … was immer diese „wirkliche Wirklichkeit“ auch sein mag, letztlich steht auch in Frage, was das „Reale“ eigentlich ist (bzw. sein könnte).