Waltraut Gschiel

Waltraut Gschiel fertigte einen schlichten Glaskubus an, der in einfachster Weise als Behältnis bzw. als Abstellfläche für eine Anzahl klassischer Einkochgläser zu dienen vermag. In der Geschichte der Errungenschaften im Bereich der Gewinnung neuer Materialien aus irdischen Erzen und Mineralien bezeichnen Ton (Keramikfertigung), Bronze und Eisen scheinbar die entscheidenden Schritte der menschlichen Technikentwicklung, die Herstellung des Glases hingegen bleibt in seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung weitgehend unbeachtet. Glas ist aufgrund seiner Beschaffenheit immer ambivalent: Es ist „fest“ und gleichzeitig zerbrechlich – es schützt und ist dennoch nur eine fragile „Barriere“. Diesen Aspekt des Schutzes bzw. der gleichzeitigen „Gefährdetheit“ und Ungeschütztheit deuten auch die Verschlusskappen der Einmachgläser an. Finden sich die schwarzen Verschlüsse installativ vor die offenen Gläser gelegt, wirkt es beinahe als Aufforderung, den Inhalt „Erde“ durch das Anbringen der Kappen „doch“ zu schützen. Weist uns die Künstlerin damit darauf hin, dass es letztendlich tatsächlich in „unserer“ Hand liegt, wie wir mit der Erde „umgehen“? In den Gläsern befinden sich zusätzlich Beschriftungen mit verschiedenen „Erdbegriffen“. Hier sei nur kurz auf eine meist unbeachtete, aber umso grundsätzlichere kulturanthropologische „Verbindung“ zwischen dem Phänomen „Erde“ und der Kulturtechnik der „Schrift“ hingewiesen. Eine der frühesten technischen Errungenschaften des Menschen – der Pflug – stellt ja letztlich nichts anderes als eine Art „Beschriftungswerkzeug“ des Erdbodens dar. So bedeutet das griechische „graphein“ ja primär „graben“, aber auch die syntaktische Matrix der schriftlichen Notation (z. B. die Zeilenanordnung) hat ihren Ursprung im Pflügen der Erde – als sogenannte Bustrophedon- Schrift, d. h. als „Ackerfurchenschrift“, die am Ende einer Furche (Zeile) umkehrt und als Mäander in die Gegenrichtung verläuft. Die menschlichen Tätigkeiten „beschriften“ im wahrsten Sinne des Wortes die Erde – auf materieller wie auch ideeller Ebene. Mit Sprache und Schrift „benennt“ der Mensch auch die Formen der Erde selbst – z. B. mit jenen Begriffen, die Waltraut Gschiel einem Konversationslexikon aus dem Jahre 1932 entnahm. Hier zeigt sich, dass auch die Benennung der Erdformen und ihrer Erscheinungsweisen ein geschichtlicher, sich verändernder Prozess ist. Manche der von Waltraut Gschiel zitierten Begriffe verlieren bzw. verändern heute ihre einstige Bedeutung oder sind gänzlich unbekannt – etwa „Erdmesser“ oder „Erdsterne“. Als würde uns die Künstlerin auf die grundsätzliche „Beliebigkeit“ der Worte hinweisen, gibt es zwischen den in die Gläser gefüllten Erden, Gesteinen und Sanden und ihren „Benennungen“ auch keine Entsprechung – dies könnte man als Indiz dafür interpretieren, wie wenig unsere Begriffe und die damit verbundenen „Vorstellungen“ über die Erde mit ihrem „Wesen“ zu tun haben, wie sehr wir sie „verkennen“ – in der Täuschung, sie zu „erkennen“. In jedem Glas findet sich zusätzlich ein rotes Kunststoffstäbchen als Produkt der Erdölindustrie. Erdöl ist zwar im Grunde ein „reines“ Naturprodukt – und dennoch erscheint dessen Gewinnung und technische Weiterverarbeitung beinahe als „offene Wunde“ unseres Planeten. Mit den malerischen Arbeiten thematisiert die Künstlerin die Elemente der Erde, des Wassers und der Luft (Winde). Auf blauem Hintergrund (die Farbe Blau ist ja tatsächlich die grundlegende „Einfärbung“ unseres Planeten – ob als Farbe der Meere oder des Himmels!) breiten sich die Formenspiele geschütteter, teilweise verwaschener, ausgekratzter und abrinnender Tone wie geo-morphologische Strukturen des Festlandes aus. Darüber ziehen Winde und Sandstürme, die die Übergänge zwischen Meeren und Landformen ständig verändern und neu formen – ein unendliches Spiel der Elemente, die derart ineinander übergehen, sich unablässig verwandeln.