Anna Gerlitz-Ottitsch setzt mit ihrer Baumkleidung ein sichtbares Zeichen unserer Zeit, in der bereits Bäume eines Schutzes vor dem Menschen bedürfen – zumindest ließe sich dieses Bekleidungsprojekt auch als kritisches Statement zur aktuellen ökologischen Krise verstehen. Nachdem es still geworden ist um das Baumsterben als Folge des so genannten „sauren“ Regens, kehrt die Problematik der Umweltverschmutzung nun in globalen Maßstäben eines drohenden globalen Klimawandels wieder in unser Bewusstsein zurück. Beinahe könnte man argwöhnen, die Mode der Schlagworte (z. B. jenes der „Globalisierung“) diktiere auch die „modischen“ Begriffe, die zur Bezeichnung ökologischer Katastrophen (die ja nunmehr ebenfalls globale sind) benutzt werden. Aber die Textilarbeit von Anna Gerlitz verfolgt weder das Ziel, einen neuen Modetrend zu kreieren, noch steht allein der Gedanke des Umweltschutzes im Vordergrund. Die Baumbekleidung ist zunächst eine Reaktion auf die in Stift Rein vorgefundene Umgebung, von der sich Anna Gerlitz „ansprechen“ ließ – mit dem Ergebnis eines spezifischen „Dialogs“ zwischen dem Phänomen „Baum“ und ihrer Person bzw. ihrem Empfinden und Denken. Letztlich ging und geht es um die Beziehung eines Menschen zu einem scheinbar selbstverständlichen Naturobjekt. Aber keinesfalls selbstverständlich sind etwa Fragen, ob und warum man (frau) Bäume mag (mögen soll), welche „Verwandtschaft“ und/oder Fremdheit zwischen den Wesen „Mensch“ und „Baum“ bestehe und schließlich, ob ein Baum eigentlich ein für ihn genähtes Bekleidungsstück brauchen könne? Unabhängig von der Beantwortung all dieser Fragen entwickelte sich für Anna Gerlitz ein Prozess der Auseinandersetzung, des In-Beziehung-Setzens von sich selbst mit einem „fremden“ Objekt. Schon die Auswahl eines bestimmten Baumes erfolgte über die Projektion einer Ähnlichkeitsbeziehung, d. h. über eine annähernde Entsprechung zwischen Körper- und Baumgröße. Von dieser primären „Verwandtschaft“ ausgehend erschließen sich weitere Wahrnehmungs- und Erfahrungsmomente dieses nun gegenüber allen anderen möglichen Bäumen ausgewählten „besonderen“ Baumes – die „individuelle“ Beschaffenheit seiner Rinde, ihre Rauheit, ihre Wärme im Sonnenschein, die besondere Form der Äste, die ihre „menschliche“ Entsprechung in den Armen finden und denen schließlich tatsächlich Kleiderärmel angepasst werden. Natürlich vollzieht sich hier der oft kritisch zu betrachtende Prozess einer Anthropomorphisierung, einer Projektion menschlicher Attribute in nicht-menschliche Phänomene. Die Gefahr derartiger anthropomorpher Projektionsmechanismen liegt in ihrer „vermenschlichenden“ Verharmlosung, aber auch im Ignorieren des Differenten, des Anders-Seins nicht-menschlicher Entitäten – vor allem im Bereich der Interpretation dessen, was „Natur“ sein soll. Dennoch bleibt der Prozess, mit Hilfe von Analogien zwischen sich und anderen Phänomenen eine affine Beziehung herzustellen, um so zu „erkennen“, oftmals die einzige Möglichkeit für den Menschen, auch das Andere, das Fremde zu erkennen und zu Anerkennung und „Verstehen“ des Fremden zu gelangen. Das Erkennen bestimmter gemeinsamer Merkmale zwischen sich und anderen „Wesen“ dieser Welt, seien es nun unbelebte oder belebte Entitäten, ist ja im Grunde nichts anderes als das Erkennen des Eigenen im Anderen und fungiert oft als Voraussetzung der Erkenntnis des Anderen und Fremden in sich selbst. Letztlich ist die Arbeit an den „Appletree-Shirts“ als ein derartiger Prozess zu sehen – denn die Bäume werden tatsächlich keine Bluse und kein T-Shirt „brauchen“. Aber gerade die offensichtliche „Unsinnigkeit“ der Frage, ob Bäume Kleidung brauchen könnten bzw. die tatsächliche „Unsinnigkeit“, für Bäume Blusen und T-Shirts zu nähen, führt zu einer bei weitem nicht sinnlosen Schlussfolgerung: Bäume brauchen – stellvertretend für die Natur insgesamt – nicht nur keine Kleidung, sie brauchen auch den Menschen nicht! Und gerade das sollte „der Mensch“ nicht vergessen!