Versteht man Architektur primär als Raumgestaltungsphänomen und schließlich als Lebensraumgestaltung, die mehr als nur funktionale Gebrauchswerte impliziert, sondern auch historisch-kulturelle, vor allem ideelle Grundeinstellungen des jeweiligen Zeitalters zum Ausdruck bringt, so ist die Architektur des Barock dafür besonders beispielhaft. Dies gilt insbesondere für den österreichischen bzw. mitteleuropäischen Bereich des 17. und 18. Jahrhunderts, der durch das politische Hegemoniestreben des Habsburgerreiches sowie die Ausformung des österreichisch-böhmischen Barock gekennzeichnet ist. Dieser bleibt bis weit in das 19. Jahrhundert hinein prägend – hier vor allem in der Kirchen- und Herrschaftsarchitektur. Für Österreich müssen keine einzelnen Beispiele angeführt werden – selbst da, wo Klöster- und Kirchenbauten auf romanische und/oder gotische Gründungen zurückgehen, unterlagen sie einer „Barockisierung“, die, wenn sie nicht zu einer völligen Neugestaltung der Gesamtarchitektur führte, zumindest die Innenraum-Gestaltung (vor allem mit Hilfe der Malerei) umfasste. Wo die Architektur (bzw. die finanziellen Mittel) an ihre Grenzen stießen, sollte die Illusionsmalerei diese Grenzen überwinden – eine Grenzüberschreitung auch des Irdischen, Profanen, der existenziellen Immanenz des Daseins in das Sakrale und Transzendente – erstaunlicher Weise nicht nur im Modus weltabgewandter Askese, sondern in Form einer „üppigen“, bildlich-illusorischen Veranschaulichung. Kunstgeschichtlich ist der barocke Duktus bereits im Spätwerk Michelangelos disponiert, religionspolitisch im Konzil von Trient – schließlich in der Verschmelzung staats- und religionspolitischer Interessen der Gegenreformation. Man kann sagen: Politisch-religiöse Gegenreformation und künstlerisches Barock beenden für den Einflussbereich des römischen Katholizismus die These der „Undarstellbarkeit“ Gottes, die in der Tradition des Bilderverbots die Religionsgeschichte begleitete. Dem weitgehend illiteralen Volk sollte die ganze Pracht und Herrlichkeit des (katholischen) Gottes, des Himmelreichs und des Paradieses auch in konkreten Bildern gezeigt werden. Dem entsprechend konnte sich der irdische Kirchenraum bis in die Höhe des sakralen Geschehens öffnen: Das Heilige und im Grunde „Unvor- und Undarstellbare“ wurde in wuchernden Bildwelten profaniert. Hierin liegt auch die Begründung für die seltsame „Verdrehung“ der Welt zum Schauspiel – ein Schauspiel, das schließlich zur Welt selbst zu werden droht. Sein und Schein bilden eine unendliche Spirale der Täuschung (eine Frage, die bereits die Renaissance-Künstler immer wieder thematisierten!), Sein und Schein werden austauschbar, indifferent, alles „Wirkliche“ findet sich im Sog des illusorischen Scheins bis zur Unkenntlichkeit relativiert. Für die künstlerische Formensprache bedeutete dies, dass alles Feste dynamisch und fließend wurde, Regelmäßigkeiten wurden zum Spiel des Irregulären, Gerade mutierten zu Kurvaturen, Krümmungen wiederum sollten als Geraden erscheinen. An diesem beinahe anamorphotischen Prinzip der Architektur und Malerei setzt nun auch die malerische Auseinandersetzung Walter Gerholds – nicht zuletzt auch aufgrund biographischer Berührungspunkte – mit dem materiellen und geistigen „Raum“ des Barocks ein. In einer Reihe von Bildstudien scheint er den barocken Linienkurvaturen der Architektur, ihren fließenden Rundungsformen in einem graphischen Duktus beinahe mimetisch zu folgen, sie technisch und graphisch gleichsam zu verinnerlichen. Mit zunehmender „Leichtigkeit“ der graphischen Geste, ihrer Dynamisierung, Vervielfachung und „Verkröpfung“ beginnen sich diese Bewegungsspuren zu überlagern, zu verdichten und zu wuchern – um schließlich in den Impuls einer beinahe „explosiven“ Auflösung zu münden. Unbewusst scheint der gestische Impetus die Tendenz der barocken Bewegtheit, des Verfließens und der Desintegration zu manifestieren. Man kann es vielleicht auch so sagen: Bis ins Extrem getrieben, gerät das „System“ schlussendlich außer Kontrolle. Das Graphische (das immer einer starken Kontrolle unterliegt) „explodiert“ in das Malerische, die Linienstrukturen lösen sich letztlich zu diffundierenden Farbflächen auf. Das „Bewegungsgesetz“ des Barock wird bis zu seiner Auflösung getrieben – um am Ende wieder im Prinzip der Undarstellbarkeit, also im Abstrakten „anzukommen“. Was bleibt sind „Farbräume“ meditativer Unbestimmtheit in Form großformatiger Bildkompositionen, die sich inhaltlich und formal vom „Illusionstheater“ des Barock emanzipieren.