Die Reflexionen Sarah Bildsteins zum Begriff des „Lebensraumes“, die sich schließlich in abstrakten und doch auch gegenständlich-konkreten (Bild-)Objekten „symbolisch“ verdichten, gehen zunächst von der Ambivalenz bzw. „Kehrseite“ des Begriffs und seiner möglichen Bedeutungen aus. So war eine ihrer ersten Assoziationen zum Begriff des „Lebensraumes“ auch jene einer „Todeszone“. Lebensräume konnotieren ja nicht nur Vorstellungen der (uneingeschränkten) Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten (dies wäre eine einseitige und euphemistische Sichtweise), sondern auch das Faktum der Begrenzung, der Ab- und Eingrenzung gegenüber anderen Lebensräumen. Es gibt keine unabhängigen, vollkommen autonomen Lebensräume – auch individuelle Lebensräume sind immer das Ergebnis komplexer „Interaktionen“ (ob in Form von Handlungen, intellektuellen oder psychisch-emotionalen Prozessen) mit den jeweiligen natürlichen, kulturellen und sozialen „Umwelten“. Man kann sagen, dass „Lebensräume“ strictu sensu Relationsphänomene, d. h. „Beziehungsphänomene“ sind und als solche variable, korrelative Denk- und Handlungsräume konstituieren, die sich letztlich in möglichen, aber auch unmöglichen Lebens- und Denkformen manifestieren. Dem entsprechend wurden für Sarah Bildstein auch „das Stichwort Grenzen und die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Lebensräume, sprich die Überlagerung und somit der mögliche Aufeinanderprall, Konflikte, Gleichschaltung, Anpassung …“ zum thematischen Impuls. Damit definiert sie die Frage nach möglichen Lebensräumen als Frage nach (notwendigen) Grenzziehungen, die zwischen dem jeweils „Eigenen“ und dem „Anderen“ differenzieren. Wer Lebensräume bestimmen möchte, muss vor allem Grenzen definieren.Eine einfache, aber fundamentale Form der Grenzziehung und gleichsam eine graphische „Metapher“ des Begriffs „Lebensraum“ ist für Sarah Bildstein etwa „die Art, wie man manchmal um irgendetwas einen Kreis zieht“ – ein Kreis, dessen grundlegende Funktion ja jene des Ein- und Ausschließens ist. Aus diesem Kreis entwickelt sich der Kegel einer Zeltform als kulturgeschichtlich grundlegende Art der „Definition“ und materiellen Realisierung von Lebensräumen. Als variable, immer wieder in veränderten Konstellationen mögliche temporäre Installation dieser Zeltkegel aus einer einfachen PE-Folie ist ein Verweis auch auf die variablen Relationen der Lebensräume gegeben – sie definieren sich immer wieder neu. Mit dem scheinbar so alltäglichen und „wertlos“ anmutenden Material der PE-Folie thematisiert Sarah Bildstein aber auch eine künstlerische und kunsttheoretische Problematik. Der Begriff „Kunst“ ist im Grunde ja ein „Lebensraum“, dessen Definition sich primär aus „ästhetischen“ (besser „kunsttheoretischen“) Kategorien ergibt (bzw. ergeben sollte!) – als solcher ist er aber auch das „Ergebnis“ einer normativen Begrifflichkeit, d. h. ein sich veränderndes historisch-relatives „Bedeutungsgewebe“. Dies betrifft nicht nur die Frage, was Kunst ist, sondern auch Aspekte der Materialien, die im Bedeutungskonstrukt „Kunst“ zur Anwendung kommen „dürfen“. Gibt es für die künstlerische Arbeit „wertvolle“ und „wertlose“ Materialien? Die Antwort muss aus kunsttheoretischer Sicht natürlich „nein“ lauten! Und dennoch ist jede individuelle Kunstrezeption in subjektiv-emotionalen Bewertungsmaßstäben (die kaum bewusst sind) „gefangen“. Unreflektiert bleibt, dass eine primäre „Funktion“ der Kunst (und ihrer Autonomie!) auch darin besteht, die ästhetische Erfahrung auszuweiten, d. h. auch scheinbar „Wertloses“ in seiner ästhetischen Qualität bewusst zu machen. Sarah Bildstein „spielt“ mit dieser (unbewussten) „Kategorisierung in der Kunst“ und stellt in ihren Bildobjekten „wertvolle“ und „wertlose“ Materialien in ihrer möglichen Gegensätzlichkeit einander gegenüber. So wird ein (scheinbar) wertvoller Stoff mit der Industriefolie kombiniert und auch konfrontiert. Die Stofffläche wird zusätzlich in Klarsichtfolie „verpackt“ und geschützt. Würde man dies mit der ohnehin als „Verpackungsmaterial“ konzipierten PE-Folie auch machen? Mit der komplementären Verteilung der jeweiligen Flächenformen, die den Materialien und mit ihnen auch den Farbwerten von grau und gelb zukommt, wird die „Ästhetisierung“ des „wertlosen“ Materials betont und dessen ästhetische Eigenqualität erfahrbar gemacht.