Tina Raffel

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Die Grafik „Frau – Meer – Maschine“ zitiert bereits mit dem Titel eine beinahe mythologische Interpretation des Bildmotivs, das in aller Deutlichkeit den „psychologischen“ Gehalt unserer männlich orientierten Kultur ins Bild rückt. Signifikant ist das Bildmotiv aber vor allem in zeitgeschichtlicher Perspektive, da die Vorlage eine Illustration einer populärwissenschaftlichen Publikation der 1950er Jahre war. In diesem Sinne verrät das dominante Bildmotiv einer Schilddrüsenuntersuchung gleichsam auf den ersten Blick, mit welchen ideologischen Gehalten die Begriffe „Frau“, „Wissenschaft“ (Medizin) und Technik aufgeladen sind. (Nur am Rande sei bemerkt, dass es insbesondere wissenschaftshistorisch äußerst interessant ist, wie sehr die moderne Naturwissenschaft ihren eigenen Mythos in Fortsetzung vorwissenschaftlicher Mythen ausbildete!) Um es kurz zu sagen: Die durchaus noch junge und attraktive Frau (in der Originalillustration natürlich eine „Blondine“), die aber zumindest andeutungsweise auch ein krankes und hilfsbedürftiges Wesen darstellt und deren Kopfhaltung völlige Passivität, wenn nicht bereits „Hingabe“ ausdrückt, „empfängt“ die angeblich heilbringende männlich-technische Errungenschaft des Diagnose- oder Bestrahlungsapparates – die sexuell anziehende Frau wird als passives, krankes und willfähriges Objekt technischwissenschaftlicher und das heißt männlicher Macht als Illustration eines medizinischen Sachverhalts „in Szene“ gesetzt. Die mythischen Konnotationen von Eros und Thanatos, sexueller Begierde und todbringender Krankheit, Verführung und Verfall werden hier ebenso angesprochen wie jene Bilder einer zwar schönen, aber mangelhaften Natur, die durch den männlichen „Geist“, also Technologie und Wissen, zu verbessern und zu retten sei. Tina Raffel verstärkt diese ideologisch-mythische Inszenierung der Frau durch die welligen Schraffurpartien, aus denen das Gesicht der Frau aufzutauchen scheint bzw. in die es zu versinken droht – Haar- und Meereswellen gehen ineinander über. Assoziationen des Weichen, Feuchten und Chaotischen sind psychologisches Urbild jenes Materiezustandes, aus dem das Leben und vor allem die Frau hervorging und aus der sich die Weiblichkeit niemals ganz lösen konnte, während sich der Mythos des Männlichen durch Überschreitung und Abtrennung von der Materie, also durch Transzendierung definiert. Tina Raffel führt diese Assoziationskette intuitiv weiter, indem sie das Bild eines Kraken mit saugender Mundöffnung und schlingenden Fangarmen hinzufügt. Dennoch bleibt die aus der Illustrationsvorlage übernommene „Penetration“ des Bestrahlungsapparates, die die eigentliche Aussage des ursprünglichen Bildes darstellt, zentral und dominant. Die über diese Szenerie hinwegsegelnde Möwe konterkariert das zentrale Bild- und Aussagemotiv – fraglich bleibt allerdings, ob als Symbolisierung einer Hoffnung oder als apathischresignativer Kommentar. Dass der Mensch – ob Frau, ob Mann – aus ausspeienden bzw. verschlingenden, höhlenartigen „Abgründen“ kommt – ein Umstand, der nach Freud auch heute noch die psychischen Dispositionen von uns bestimmt –, scheint sich im Motiv des Kindskopfes, der durch eine Art Geburtskanal gepresst wird, ebenfalls zu bestätigen.