Photographie und Film sind nicht nur Medientechniken, die die sichtbare Realität einfach „verdoppeln“, sie sind vor allem optische Speicher und Archive einer Sichtbarkeit, die sich verändert und nicht selten vollkommen verschwindet. Sichtbares wird zu Unsichtbarem, zu Gewesenem, das oft allein in Gedächtnis und Erinnerung eine fiktive, zumindest imaginäre Realität besitzt. Mentale Erinnerungsformen sind aber beschränkt und unterliegen selbst einem unabwendbaren Prozess der Veränderung, Verfälschung und schließlich des Vergessens – bis hin zum Vergessen des Vergessens. Um vergangene Wirklichkeit dauerhaft memorierbar zu machen, entwickelte sich einerseits die „ars memoria“ als kognitive Technik der Speicherung und Vergegenwärtigung, also des Bewahrens und Erinnerns (mit dem berühmten Beispiel des „Topographischen Gedächtnisses“, dessen Form auf Simonides von Keos zurückgeht) und andererseits stützte man das vor allem soziale bzw. kulturelle Gedächtnis durch so genannte „hypomnemata“, also durch verschiedenste Gedächtnisstützen – beginnend mit einfachen Kerbungen und Ritzungen (als Vorläufer der späteren Schriften und Bilder) in möglichst dauerhafte Materialien wie Stein oder auch durch Errichtung monumentaler Bauten wie Zikkurate oder die ägyptischen Pyramiden. Die menschliche Kultur ist primär eine Gedächtnis- und Erinnerungskultur. In Frage steht aber für jede Gesellschaft, welche Art und Weise des Erinnerns (und Vergessens) sie praktiziert. Im Rahmen dieser jeweiligen Praktiken des Erinnerns bzw. Vergessens kommt geographischen Orten und visuellen Bildformen eine besondere Funktion zu: Orte vergangener (meist traumatischer) Ereignisse bleiben, selbst wenn alle Spuren des Geschehens „getilgt“ sind, als geographische „Markierungen“ des (möglichen) Gedächtnisses bestehen. Visuelle Bilder von Gedächtnisorten bzw. des Geschehens an diesen Orten sind im Gegensatz zu imaginären eben an Trägermaterialien gebunden, die den flüchtigen Augenblick des Geschehens unter Umständen dauerhaft machen und als so genannte „Spur“ (in kausal-physikalischem Sinne) bewahren. Orte werden zu Gedächtnisorten und Bilddokumente, vor allem photographisch und filmisch fixierte opto-physikalische Spuren, werden zu authentischen „Zeugen“ einer „in Wirklichkeit“ immer flüchtigen, vergehenden Wirklichkeit. Mit den Medien der Photographie und des Films wurde jede Erinnerungskultur zu einer Bildkultur – erinnert wird vor allem, was auch als materielles Bild existiert. Monika Rabofsky thematisiert in ihrer Arbeit die Funktion von Gedächtnisorten in Wechselwirkung mit den Medien des Gedächtnisses und setzt das technisch- mediale Bild gegen den Prozess des Aus- und Verlöschens der Spuren an Gedächtnisorten – gegen den Prozess des Vergessens, der gewollt oder ungewollt die „Zeugenschaft“ von Gedächtnisorten untergräbt. In dieser Funktion des Bildes bezieht sie sich auf Jean Luc Godard: „Selbst bis zur Unkenntlichkeit verschlissen, rettet ein einfaches Rechteck von 35 Millimetern die Ehre der gesamten Realität.“ Hier fungiert das Bildmedium der Photographie bzw. des Films als absolute Realitätsinstanz, die selbst eine bereits verschwundene Realität zu beglaubigen vermag – die mediale Verdoppelung der Realität bewahrt diese über ihr eigenes Verlöschen hinaus – zumindest als Spur, die diese Wirklichkeit auf einem lichtempfindlichen Material hinterließ. Dauerhaft ist also lediglich die mediale Spur, die als solche späteres Erinnern ermöglichen kann. Die mediale „Spur“ ist die Bedingung des Erinnerns, an die sich die Problematik der politischen Erinnerungskultur anschließt, nämlich ob erinnert oder vergessen werden soll. Mediale Bild-Spuren unterliegen als photographische oder filmische Sequenzen auch der dem Bildphänomen inhärenten Problematik, dass jedes Bild sowohl etwas erscheinen lässt als auch etwas (anderes) verbirgt. Diesen Aspekt unterstreicht Monika Rabofsky mit dem Bezug auf ein Zitat Didi-Hubermans: „Bilder zeigen nicht alles. In der Betrachtung unterliegen sie einer zweifachen Ordnung – der des Erscheinens und des Zurücktretens der Realität.“ Überwiegt der Aspekt des „Zurücktretens“ der Realität hinter die Realität der medialen Verbildlichung, so bleibt letztlich eine Leerstelle im „Bild“ des realen Ortes – vielleicht auch als Symbol dafür, dass so mancher Gedenkort tatsächlich eine Leerstelle des Gedenkens (z. B. an nationalsozialistische Verbrechen) ist. Dies ist auch ein Symbol für die Undarstellbarkeit des zu Gedenkenden, des zu Erinnernden – dieser Aspekt findet sich in der Gravur der Photo- und Filmkader, die ihre aus dem „Bildrahmen“ bestehenden Schattenkonturen analog zum Modus des filmischen Projektionsmechanismus in den realen Raum zurückwerfen – als würde eben auch Unsicht- und Undarstellbares von Gedächtnisorten Spuren hinterlassen.
Lebt in Wien