Karin Koschell greift das Thema „Utopia“ vor allem in Form des Negationspartikels „u- bzw. où (gr.)“ für „nicht“ auf. Ihre primäre Ausgangsfrage betrifft den Begriff der „sozialen Wirklichkeit als utopische Wirklichkeit“, wie sie in ihrem Konzept zum Klausurthema und zu den Arbeiten schreibt. Dass sie diesen Begriff und den damit verbundenen Kontext in den Mittelpunkt ihrer künstlerischen Auseinandersetzung stellt, verweist bereits auf ihre durch sozial- kulturelle Fragestellungen und Problematiken bestimmte Zugangsweise. Das jeweilige sozio-kulturelle „Feld“ und dessen unsichtbare Regelmechanismen sind für ihre Projekte aber nicht nur ständiges Thema, sondern im Grunde auch das „Exerzierfeld“ der meist multi-medialen und interaktiven Projekte, die man in so manchem Fall eher als Kommunikationsprojekte im virtuellen Raum bezeichnen könnte. Im Zentrum ihrer Arbeit im Rahmen des Klausurthemas steht weniger die Reflexion konkreter Utopien als vielmehr die Problematik der Korrelation individueller und kollektiver „Ideen“ bzw. Konzepte und Normen. Wie ist eigentlich das Verhältnis individueller Bewusstseins- und Vorstellungsformen zu einem „kollektiven Bewusstsein“ zu verstehen? Welche Wirklichkeit und welche „Wirkmächtigkeit“ kommt eigentlich diesem Konzept eines Kollektiv- Bewusstseins zu? Diese Fragen entspringen den soziologischen Studien zur Entwicklungsgeschichte moderner Gesellschaften von Max Weber über Emile Durkheim bis hin zu Norbert Elias. Die bestimmende Antinomie moderner Gesellschaften scheint in der Entwicklung der „Autonomie“ des Subjekts bzw. Individuums bei gleichzeitig zunehmender gesellschaftlicher Regulierung zu bestehen. Dem entsprechend stellt sich die Frage, wie die zunehmende individuelle „Freiheit“ des Einzelnen mit einer synchron zunehmenden Abhängigkeit des Einzelnen vom sozialen Ganzen zu erklären bzw. zu verstehen ist. Gleichzeitig werden diese Interdependenzverhältnisse aber auch immer indirekter und abstrakter. Einmal mehr stellen sich diese Fragen auch im Verhältnis individueller „Utopien“ zur sog. sozialen Wirklichkeit. Welche Voraussetzungen fördern oder verhindern die Realisierung individueller Ziele? Exemplarisch zitiert Karin Koschell dafür die individuellen Biographien von acht Frauen mit Graz-Bezügen, deren „Lebensentwürfe“ offenbar Wirklichkeit geworden sind, und vereint sie in einem „Nicht-Bild“ – als wolle sie damit andeuten, dass es kein „Bild“ realisierter Utopien gibt, da eine Utopie nur dann eine Utopie ist, wenn sie nicht verwirklicht ist. In der Arbeit „Nicht-Text“ annotiert sie in einer „Wort-Bild-Collage“ den offenbar immer utopischen Charakter von Sprache, Schrift bzw. des Schreibprozesses selbst. Zu „schreiben“ bedeutet ja im Grunde immer, eine ungreifbare „Utopie“ in Sätze, in Worte zu transformieren. Jeder Satz beginnt, ohne dass das Ende (Ziel, der Erfolg?) absehbar, erahnbar wäre – Worte, Satzfragmente – oft nur Laut- und Buchstabenteile – tauchen auf und verschwinden, bevor sich auch nur ein winziger Bruchteil des utopisch Möglichen fixieren lässt und für einen kurzen Moment auch einen „Ort“ (topos) bekommt. Aber schon mit dem nächsten Satzbeginn wird das Vorhergehende, das gerade noch ganz Konkrete, gleichsam „durchkreuzt“, überschrieben wie ein Palimpsest, es verlöscht, wird vergessen – schließlich nicht mehr gelesen: „Graeca non leguntur“ – Text als „Nicht-Text“.