Tanja Fuchs

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Austria-8020 Graz

Die Arbeit von Tanja Fuchs wirkt schlicht und dennoch vielschichtig. Schon der Titel verrät, dass es hier primär um Formen (gr. morphe = Form) geht, thematisiert wird die Veränderlichkeit, die Wandlungsvielfalt von Phänomenen bzw. von ihren bildlich-visuellen Erscheinungsformen. Alles was ist, muss ja erst „erscheinen“ – es ist für uns als wahrnehmende Wesen vor allem als Erscheinendes, als Oberfläche, eben als „phaenomenon“ und nicht als Seiendes an sich gegeben. Und darüber hinaus gilt auch in medientheoretischer Hinsicht: „Vor dem Schein kommt das Erscheinen.“ (Martin Seel) Vor dem phänomenalen Schein kommt eben das „Zur-Erscheinung- Bringen“, d. h. wie etwas erscheint, ist davon abhängig, wie es zur Erscheinung gebracht wird. Hier eröffnen sich Möglichkeiten, ein Spiel optischer Erscheinungsvariationen zu inszenieren. Die Tradition der künstlerischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit anamorphotischen Techniken reicht nicht zuletzt bis zu Leonardo (etwa seine anamorphotische Skizze eines Kindergesichts) oder auf Jan van Eyck („Das Ehepaar Arnolfini“) zurück. Vor allem im Zeitalter der Renaissance war man sich der Variabilität der Erscheinungsweisen der Wirklichkeit in höchstem Maße bewusst – die Formen des Realen zeigten sich ja nicht nur im Reflex des Planspiegels (der selbst eine recht neue Entwicklung war!) oder in der geometralen Projektion sondern auch in faszinierenden Verformungen konvexer oder konkaver Spiegelflächen. Ohne diese Studien optischer Anamorphosen wäre der malerische Illusionismus etwa des Barock nicht möglich gewesen. Zahllose Experimente mit optischen Phänomenen zeigten schließlich, dass die so genannte Wirklichkeit auf phänomenaler Ebene in unendlich vielen und differenzierten Erscheinungsweisen sichtbar wurde. Welche dieser Sichtbarkeiten war nun eigentlich die „wirkliche Darstellung der wirklichen Wirklichkeit“, wie es Adalbert Stifter bezeichnete? In den anamorphotischen Experimenten geriet das Bild des Wirklichen in Bewegung – als künstlerische Vorahnungen des heutigen „Problems“ mit medienvermittelten Wirklichkeitsillusionen. Tanja Fuchs verschränkt ein zweifaches anamorphotisches „Spiel“ der optischen Verzerrung in einem reziproken Prozess, so dass diese zweifache Verzerrung eine (annähernde) „Entzerrung“ bedeutet. Somit schließt sich aber der Zirkel der immer schon „verzerrten“ Wirklichkeit, die immer „nur“ in einem medialen Zerrspiegel erscheint – ob es sich dabei nun um das eher einfache Medium eines Konvex-Spiegels handelt oder um den komplexen Prozess eines „interpretativen“ Aktes, d. h. einer auf Wahrnehmungs- und Kognitionsprozessen beruhenden „Sichtweise“ eines Individuums, in der sich ja nicht nur subjektive Komponenten der Weltwahrnehmung finden sondern in der vor allem auch eine Überkreuzung mit gesellschaftlichen und historisch-kulturellen Schemata evident wird. Schließlich ist jede Form des Subjektiven bereits kulturell disponiert, d. h. ver- bzw. entzerrt – als reziproker Spiegelungseffekt zwischen Individuum und Kultur bzw. Gesellschaft. Schon wer zu sprechen lernt, lernt eine „Sozialsprache“, d. h. das Produkt eines gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses und keine individuelle Ausdrucksform. Wer sich in die Höhlung der anamorphotischen Maske von Tanja Fuchs mit seinem Gesicht einpasst, um durch die Augenöffnungen zu sehen, erblickt sich als Person hinter einer Maske – eine Annotation nicht nur des Umstands, dass unsere nach außen, also den Anderen gezeigte Erscheinungsweise unseres Ich schlicht eine maskierte ist sondern auch, dass unsere Selbstwahrnehmung durch einen subjektiven und gesellschaftlichen Zerrspiegel erfolgt: Sehen wir durch die Maske hindurch (auf den konvexen Spiegel und dessen Verzerrungsbild der Maske blickend) unser wahres anamorphotisches Bild, unser wahres Selbst als Maskenbild? Immerhin bedeutete der Begriff „per-sona“ im griechischen Theater ursprünglich eine „Maske“ (mit einem Mundtrichter), durch die man sprach („per-sonare“ heißt ja „hindurchklingen“), um im Amphitheater besser hörbar zu sein. In diesem Sinne wäre eine „Person“ ja eine Maske, durch die etwas hindurchklingt und als „Person“ wäre man immer jemand hinter einer verzerrten Maske. Ist gar die Maske unsere wahre Persönlichkeit?